„Ohne Wohnung kannst du nicht klar denken“

René Schober (40) und José Manuel Santos Picallo (46) sind Peers bei der Volkshilfe Wien. Sie waren selbst wohnungslos und helfen jetzt Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind. 

Wie ist es dazu gekommen, dass ihr wohnungslos wurdest?

René: Von 2003-2005 habe ich in Fohnsdorf eine Ausbildung zum Elektrobetriebstechniker mit LAP gemacht und mit meiner Freundin und vielen netten Punks in Graz zusammengelebt. Unsere Hündinnen Kiara und Zoe – sie ist wie ein Kind für mich – waren auch dabei. Wir sind 2006 nach Wien gezogen und haben bei ihren Eltern gewohnt. Aber nach gewisse Zeit lebten wir uns auseinander. 2008 bin ich in eine privat angemietete Wohnung gezogen.
Eines Tages hat mich der Vermieter angerufen und gesagt, er verkauft die Wohnung. Der Vertrag war befristet, ich konnte nichts tun. Das war 2017. Als ich eine günstige Wohnung um 500€ suchte, fand ich nur WG Zimmer. Ich bin dann von Bekannten zu Bekannten gezogen – gegen Bezahlung – und dabei leider sehr ausgenutzt worden. 

Ich habe dann bewusst entschieden, mich obdachlos zu melden, um zu einer leistbaren Wohnung zu kommen. Ein schwieriger Schritt, doch nötig, um das Angebot der Wiener Wohnungslosenhilfe nutzen zu können. So erhielt ich zum Beispiel eine Post- und Meldeadresse. Dann stellten wir einen Antrag für einen geförderten Wohnplatz, der glücklicherweise bewilligt wurde.

José: Ich bin 2013 von Spanien nach Wien gezogen, zu dem Zeitpunkt konnte ich schon Deutsch. Von Beruf bin ich Chemiker, ich habe einen Job gesucht, leider vergeblich. Am Anfang habe ich in WGs gewohnt, bin innerhalb von fünf Jahren 19 Mal umgezogen. Ich habe viele Hilfsarbeiterjobs gemacht, manchmal sechs auf einmal und bei einem Freund gewohnt, für fünf Monate. Das nennt man „versteckte Obdachlosigkeit“. Wir haben uns ein Bett geteilt. Ohne Wohnung kannst du nicht klar denken. Zuletzt wohnte ich in einer 3er WG. Leider habe ich den Vertrag nicht richtig verstanden und als meine Mitbewohner ausgezogen sind, wusste ich nicht, dass ich nun für die gesamte Miete verantwortlich war. Plötzlich hatte ich 7000 Euro Schulden und musste ausziehen – direkt auf die Straße.

Ich habe im Notquartier NORD_licht der Volkshilfe Wien geschlafen und in einem zweiten Notquartier. Ich hatte eine Krise, eine psychische Belastungsstörung und bin sehr abgestürzt. Dann hab’ mir Zeit für mich genommen, Sport gemacht und versucht mich zu erholen. 

Ich habe ein Angebot von Wiener Wohnen für eine leere Gemeindewohnung erhalten. Klein, aber fein. Es gab keine Küche, keine Stühle, aber ich hatte den Spielraum, meinen Raum selbst zu gestalten. Am 8. August 2019 bin ich eingezogen. Es hat mich dann jemand für das Peers Programm empfohlen. Das erste Mal nach 44 Jahren habe ich etwas gefunden, das mir gefällt.

Was sind eure Aufgaben als Peers?

René: Viele Situationen, die Kund*innen erleben, habe ich bereits hinter mir. Die Peers arbeiten mit ihrer eigenen Lebenserfahrung. Sie geben Hilfe zur Selbsthilfe: Beim Einrichten der Wohnung, beim Finden von Freizeitmöglichkeiten und Wiederaufnehmen sozialer Kontakte (Freunde, Familie, Ärztinnen). Gern begleiten wir zu Ärzt*innen, Ämtern, Behörden oder wir gehen einfach spazieren, reden und sind emphatisch da für die Menschen.

Jeder hat schwierige Tage – auch ich. Jedoch weiß ich, wie ich damit umgehen kann. Ich versuche z.B. umso freundlicher zu anderen zu sein, in der Hoffnung auch gut behandelt zu werden. Es geht darum, gut leben zu können, Bewältigungsstrategien und Resilienz zu entwickeln.

Welche schönen Erlebnisse hattet ihr mit Klient*innen?

René: Einmal hat ein Mann zu mir gesagt, er könne mit mir über alles reden. Mehr als mit der Sozialarbeiterin. Wir schaffen Vertrauen. Wir zeigen den Leuten, dass die Volkshilfe Wien es gut mit ihnen meint. Wir sind ein Hilfsangebot. 

José: Eine Klientin hatte Angst vor der Corona-Impfung. Also habe ich sie gefragt, ob sie sich weniger fürchten würde, wenn ich mitkomme. Da hat sie “Ja” geantwortet. Also bin ich mit ihr dorthin gefahren und sie hat meine Hand gehalten, während sie geimpft wurde. Einmal hatte ich eine Klientin mit einer Gewaltgeschichte. Sie war sehr traurig. Da habe ich zu ihr gesagt, sie trage so viele Fähigkeiten in sich wie ein Iphone 42 Pro. Da sie hat gelächelt und sich gefreut. Sie wollte in einem Kindergarten arbeiten und ich war sicher dass sie den Job bekommt. Aus Spaß habe ich mit einer Kollegin gewettet, dass sie ihn kriegt. Tja, jetzt schuldet sie mir einen Cent.