Stimmen aus dem Projekt Care Leaver Mentoring

„Es ist so, als hätte ich eine große Schwester, die auf mich aufpasst“

Der Übergang vom Jugendalter zum Erwachsensein stellt für viele junge Menschen eine Herausforderung dar. Wenn sie in Fremdunterbringung (also nicht bei ihrer Herkunftsfamilie) aufwachsen, kann es mitunter noch schwieriger werden. Nach dem Auszug aus der sozialpädagogischen Wohngemeinschaft („leaving care“) ist dann häufig niemanden mehr da, an den sie sich wenden können. Das Projekt Care Leaver Mentoring der Volkshilfe Wien ändert das.

Um euch einen Einblick zu geben, wie sich so ein Mentoring gestalten kann, haben wir zwei Mentoring-Tandems des Projekts gebeten, von ihren Erfahrungen zu erzählen:

Claudia war beim ersten Kennenlernen mit ihrer Mentorin 17 Jahre alt. 2023 wird sie schon 21 und das Mentoring mit Selina besteht weiterhin. Die Häufigkeit der Treffen hat mittlerweile abgenommen – beide haben viel zu tun – aber sie sind weiterhin in Kontakt und Claudia weiß, dass sie sich bei Bedarf immer bei Selina melden kann. Das ist das Hauptziel von Care Leaver Mentoring: Jungen Menschen eine verlässliche, langfristige Bezugsperson zur Seite zu stellen. Wichtig dabei ist natürlich, dass Mentee und Mentor*in gerne Zeit miteinander verbringen. Darauf wird beim „matching“ besonders geachtet und die Projektleitung nimmt sich dafür viel Zeit – mit Unterstützung der Sozialpädagog*innen der WGs..

Auf die Frage, welche besonderen Momente ihr einfallen, wenn sie an die Zeit mit ihrer Mentorin denkt, antwortet Claudia: Ich würde sagen, besonders schöne Erinnerungen sind, dass wir z.B. öfter bei ihr gegessen haben oder mal eine Rad-Tour während Corona gemacht haben. Und als wir zu zweit was trinken waren“. Selina erzählt, dass sie zu Beginn –  als Claudia noch in Ausbildung war – auch viel gemeinsam gelernt haben, während sie jetzt hauptsächlich gemeinsam kochen: „Es ist fast zur Gewohnheit geworden, dass wir kochen, wenn wir uns sehen. Meistens gibt es Claudias Lieblingsgericht: Schnitzel mit Pommes. Da ich Vegetarierin bin, muss sie die Schnitzel selbständig panieren. Mittlerweile hat sie die Zubereitung perfektioniert. Es ist schön zu sehen, wie viel Spaß Kochen in Gemeinschaft machen kann.“

Shukria war beim Start des Mentorings 16 Jahre alt – und zu Beginn etwas skeptisch, ob es wohl das Richtige für sie ist, „aber als ich meine Mentorin kennengelernt habe, war es so, als hätte ich eine große Schwester, die auf mich aufpasst und gern Zeit mit mir verbringt, die mir zuhört und mich bei allem unterstützen will. Das ist echt etwas ganz Schönes“. Und auch ihre Mentorin Julia erfüllt das Tandem mit „ihrer“ Mentee mit viel Freude. Als wir sie nach einem besonderen Moment in den letzten Jahren fragen, erzählt sie lächelnd: „Der Herzigste war, als meine Mentee nach unserem 3. Treffen gesagt hat, dass sie mich gerne umarmen würde. Da wurde mir ganz warm ums Herz. Und eine Umarmung gibt‘s seitdem natürlich immer.. Heute ist Shukria 19 Jahre alt und auch bereits aus der WG in eine eigene Wohnung ausgezogen. Aber auch ihr Tandem ist weiterhin aufrecht und wenn sich ein Treffen mal nicht ausgeht, wird „ge-snapped“ (auf der App Snapchat) und via WhatsApp der Kontakt aufrechterhalten. Julia betont in diesem Zusammenhang, dass es für neue Mentor*innen wichtig ist, „unbedingt die Generation kennenzulernen und neugierig auf sie zu sein! Für junge Menschen heutzutage ist das Leben ganz anders. (Sie nutzen andere soziale Medien wie TikTok, haben neue Werte – Umweltschutz, die LGBTIQ+ Community…“. Und sie fügt hinzu: „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es eine Entscheidung fürs Leben ist – der Kontakt zum Mentee wird im Idealfall ein Leben lang bestehen, nicht nur ein Jahr“.

Die Volkshilfe Wien bietet eine umfangreiche Unterstützung für Tandems, auch nach dem Auszug der jungen Mentees, um eine Langfristigkeit bestmöglich zu gewährleisten. Julia erzählt: die Weiterbildungen sind wahnsinnig hilfreich und sehr empfehlenswert“ und Selina ergänzt: „Die Treffen [mit anderen Mentor*innen und der Projektleitung, Doris] sind super, um sich auszutauschen und auch mal Feedback bzw. eine andere Sichtweise auf aktuelle Themen, die einen mit der*dem Mentee beschäftigen, zu bekommen“.

Auf die Frage, warum es Sinn macht, Mentor*in zu werden, erzählt Selina, dass sie auch früh von zu Hause ausgezogen ist: Man fragt sich, wie man das alles unter einen Hut bekommen soll: Den Überblick zu behalten über die Fix-Kosten für Miete, was man pro Monat ausgeben kann für Freizeitaktivitäten ohne am Ende des Monats im Minus zu sein! Im Vergleich zu vielen Care Leavern hatte ich aber viel Unterstützung und Beratung von der Familie“.

Noch mehr aus der Praxis eines Mentorings könnt ihr auch im Podcast Sozial Pod nachhören, für den die Mentorin Andrea und die Projektleitung Doris 2020 interviewt wurden. Hier geht’s zur Sendung.

Wenn du jetzt neugierig geworden bist und dich vielleicht als Mentor*in engagieren willst: Alle Details zum Projekt findest du auf www.volkshilfe-wien.at/clm.